Lo-Fi Aesthetics

Das Lo-Fi Hip-Hop Genre und seine musikalische Ästhetik

Was ist Lo-Fi überhaupt?

Lo-Fi vs Hi-Fi

Lo-Fi ist eine Abkürzung des Begriffs "Low-Fidelity", welcher übersetzt „Niedrige Güte“ bedeutet. Das heißt eine niedrige Aufnahmequalität, die man dann später in Form von Rauschen oder Knacken raushören kann. Im Lo-Fi verleiht man somit dem Sound einen besonderen Charakter.

Im Gegensatz dazu steht Hi-Fi, also „High-Fidelity“. Das sind Hochglanzaufnahmen, die man heutzutage im Mainstream Pop oft zu hören bekommt. Hier klingt der Sound fein und klar.

Lo-Fi setzt sich ganz klar von diesen Mainstream-Veröffentlichungen durch seine besondere Klangästhetik ab.

Doch warum sollte ich mir heutzutage Songs mit schlechter Aufnahmequalität anhören?

Das Ding ist: Die Songs haben während der Produktion keine schlechte Aufnahmequalität, denn die meisten Lo-Fi Künstler:innen arbeiten mit modernem Equipment.

Der typische Sound wird erst später durch die Postproduktion hinzugefügt. Es ist also eine künstlerische, ästhetische Wahl die klangliche Qualität des Songs „schlecht“ klingen zu lassen. Das kann man beispielsweise durch bestimmte Filter machen oder einen High-Cut, der alle Höhen wegnimmt und so die dumpfen Bässe mehr zum Vorschein bringt.

Viele Produzent:innen legen auch zusätzlich aufgenommene Atmosphäre unter ihre Tracks, wie Plattenrauschen oder Regen.

Woher kommt diese Ästhetik?

Als Lo-Fi in den 80ern und 90ern groß geworden ist, haben viele Produzent:innen ihre Tracks aus Samples gebaut. Das sind kurze Musikausschnitte oder Melodien von bereits existierenden Songs. Und wo waren die gespeichert? Auf Kassetten oder Schallplatten!

Die haben nunmal beim Überspielen oder kopieren manchmal geknackt und gerauscht. Aber auch wenn man eigene Samples auf analogen Samplern eingespielt hat, klang es häufig etwas verrauscht. Heutzutage ist dieser Retroklang somit ein nostalgisches Überbleibsel.

Der Produzent "Sátyr" über das Lo-Fi Genre:

"Vom Namen her kommt es ja von "Low Fidelity", einfach runter gefiltert, runter gepitcht, musikalisch verzerrt, quasi so auf alt gemacht aufgrund der analogen Maschinen mit denen es vorher gemacht wurde.

Aber für mich ist das Genre jetzt einfach so groß geworden, dass es irgendwie alles impliziert. Also jedes Musikstück, jedes Instrumentalstück, das irgendwie kein Gesang hat, keinen Rap, aber einen Hip-Hop Beat ist für mich schon größtenteils Lo-Fi. Wenn es nicht so trappig ist, dann ist es so alles.

Mittlerweile kann man schon fast alles unter Lo-Fi zuordnen. "   

"Es ist die Frage, was man als Lo-Fi deklariert: Also das, was jetzt in den meisten Spotify-Playlists läuft, hat relativ wenig mit dem ursprünglichen Lo-Fi zu tun.

Der Ursprung liegt eigentlich in Samplern, die benutzt wurden, also Geräte mit denen man Musik produzieren kann. Und die hatten einfach nicht so eine große Auflösung, wodurch der Sound ein bisschen crunchy und dirty war.

Der Lo-Fi mit dem ich quasi angefangen habe zu produzieren und zu hören, ist viel mehr auf Samples basierend. Viel mehr jazzy, viel rougher. Und mittlerweile ist es so ein bisschen glattpoliert, bisschen poppiger. Dafür auch noch einmal eine Nummer ruhiger. Es ist ja fast irgendwie meditativ."

- Lo-Fi Produzent "Miramare" aus Hamburg

Cecelie ist Singer/Songwriterin, hat aber seit Neuesten auch das Produzieren von Lo-Fi Tracks für sich entdeckt:

"Ich finde es einfach die perfekte Mischung aus Jam Musik. Eigentlich ist das ja nur ein ganz großer Jam, den die Musiker da machen. So fühlt es sich an, wenn ich Lo-Fi produziere und wenn man es hört.

Es ist hip und du kannst dazu entspannen. Aber es ist auch einfach was anderes als Radio hören oder die ganze Popmusik, die sonst immer rauf und runter läuft. Es gibt dem Raum einfach eine super schöne Energie.

Es läuft bei uns im Wohnzimmer, und wenn es mal nicht läuft, ist es komisch. Weil dann fehlt irgendwie diese Wärme, die Lo-Fi dem Raum gibt und diese Gelassenheit."

Wie unterschiedlich Lo-Fi klingen kann, hört man in dieser Playlist. Ich habe sie zusammen mit den Produzent:innen erstellt. Darin sind eigene Tracks aber auch Songs von Künstler:innen, die sie besonders gerne hören und inspirieren.

Die Beatmaker-Szene

Von Hip Hop und Rap zu Lo-Fi Beats

Lo-Fi Hip Hop ist das bekannteste Subgenre von Lo-Fi und hat die Musikrichtung zu ihrer heutigen Popularität gebracht. Grundsätzlich kann man sie auch als Lo-Fi-Beats bezeichnen, denn sie haben ihren Ursprung in der Beatszene.

Als Beat versteht man im Hip Hop und Rap die Musik, die unter dem Rap oder Gesang liegt. Dieser kann meistens musikalisch auch für sich alleine stehen als Instrumental-Hip Hop und genau aus diesen Beats ist Lo-Fi Hip Hop entstanden.

Akai MPC Renaissance - angled left - 2014 NAMM Show (by Matt Vanacoro)

Die Akai MPC Renaissance ist noch immer beliebt unter Beatmakern

MadlibMarch2014Echo

Beatproduzent Madlib

Beatmaker wie Madlib und J Dilla haben ihre Tracks mithilfe von Drum Maschinen wie der Akai MPC 3000 produziert. Dadurch haben die Aufnahmen einen rauschigen Klang bekommen und haben generell ein bisschen grob geklungen. Doch besonders J Dilla hat aus dieser handlichen analogen Maschinen einen ganz besonderen Sound herausbekommen, weshalb seine MPC nun auch in einem Museum ausgestellt ist.

Lo-Fi als Internetphänomen

Der Start eines Musikbooms

Anfang 2015 ist der Kanal „Lofi Girl“ YouTube beigetreten. Heute hat er insgesamt mehr als eine Milliarde Aufrufe. Durch seine berühmten 24/7 Musikstreams mit „Songs to study and relax to” stolpern die meisten in die Lo-Fi Szene. Der längste Stream ging über 20 Tausend Stunden lang und hat dementsprechend hohe Aufrufzahlen.

Es hat sich also innerhalb von kürzester Zeit ein neuer großer Markt in der Musikindustrie aufgemacht. Doch warum kommt genau jetzt dieser Lo-Fi Boom?

Klar gab es Lo-Fi schon in den 90ern, doch besonders durch das Zeitalter des Internets wurde Lo-Fi immer mehr verbreitet. Das liegt daran, dass mittlerweile fast jeder Zugang zu Streamingdiensten wie Spotify und Co. hat. Man muss schon lange nicht mehr in einen Plattenladen gehen oder sich CDs kaufen um die neueste Musik zu hören.

Doch besonders Nischengenres haben durch Streamingplattformen viel mehr Zuhörer gewonnen, weil es unkomplizierter geworden ist unbekannte Musik zu entdecken.

Und Playlisten voll mit Lo-Fi Tracks gibt es mittlerweile so viele, dass man fast den Überblick verliert. Das liegt auch daran, dass es viel einfacher geworden ist Musik zu produzieren und selber zu veröffentlichen. Ich kann also heute einen Lo-Fi Track produzieren und morgen ist er schon auf allen großen Streamingplattformen, ohne dass ich erstmal ein Label von meinem Song überzeugen musste.

Lo-Fi profitiert vor allem von dem Playlist-Konzept auf Streamingdiensten. Die meisten Hörer suchen sich ihre Musik nicht mehr nach bestimmten Artists aus, sondern nach Stimmung. Da Lo-Fi hauptsächlich instrumental ist und einen ruhigen Charakter hat, kann man sie sehr gut zum Entspannen oder auch zum Lernen als Konzentrationsmusik anhören. Hier haben sich mittlerweile Communities auf mehreren Onlineportalen gegründet, wo man live mit anderen zusammen Lo-Fi hört und währenddessen lernt.

black android smartphone on white surface

Photo by Imtiyaz Ali on Unsplash

Wie produziert man einen Lo-Fi Track?

Ein Selbstversuch

Hier sind die zwei Tracks, die ich produziert habe. Ich habe jeweils eine ganze Weile gebraucht bis ich eine Idee hatte und am Ende kamen dann so viele Ideen zusammen, dass es teilweise auch so klingt. Trotzdem wollte ich die endgültigen Tracks nicht vorenthalten. Die Produktion hat Spaß gemacht, doch ich werde in Zukunft keine Karriere als Lo-Fi Produzentin anstreben.

Du kannst sie dir gerne anhören und dann danach die Fragen dazu ausfüllen.

Ich habe den "Track 2" auch dem Produzenten Sátyr vorgespielt und mir von ihm ein paar Tipps geholt:

Ästhetik

Von der Antike bis TikTok

Das ursprünglich Altgriechische Wort "aísthēsis" steht für die Harmonie in der Kunst und die Schönheit.

Es hängt ganz von der Wahrnehmung jedes Einzelnen ab, was man als ästhetisch empfindet oder eben nicht. Hier scheiden sich häufig die Geister und deshalb ist sie auch sehr subjektiv. Trotzdem lassen sich übergreifende Ästhetiken bestimmen, wie zum Beispiel in der Mode, Kunst oder eben in der Musik.

In der Popkultur ist in den letzen Jahren durch Social Media Plattformen wie TikTok oder Instagram der Begriff "Aesthetics" aufgekommen. Innerhalb einer "Aesthetic" gibt es bestimmte Kleidungsstile, Interessen, Vorbilder, Bücher und auch Musik. Mittlerweile gibt es über 600 verschiedene definierte Ästhetiken, wobei die Übergange häufig fließend sind.

In der Musik kann man die Ästhetik auch als den Charakter eines Stücks oder Songs verstehen. Diesen bestimmen einige musikalische Merkmale wie zum Beispiel Tempo, harmonischer Aufbau, Rhythmus und die Auswahl der Instrumente.

Bei Lo-Fi ist diese Klangästhetik besonders ausgeprägt und es gibt einige Elemente, die diese wiederspiegeln. Ich habe die drei häufigsten zusammengefasst, doch selbst wenn man in einem Track keinen dieser hört, kann es sich trotzdem um einen Lo-Fi Hip-Hop Track handeln.

Musikalische Ästhetik

Beispiele und Verwendungsmöglichkeiten

timelapse photography of water drops

Photo by Inge Maria

round black vinyl disc on vinyl player

Photo by Adrian Korte

black and brown round speaker

Photo by Scott Major

timelapse photography of water drops

Photo by Inge Maria

round black vinyl disc on vinyl player

Photo by Adrian Korte

black and brown round speaker

Photo by Scott Major

Regenrauschen

Das wohl am häufigsten im Lo-Fi Hip-Hop verwendete atmosphärische Klangelement. Von Regenrauschen über ruhiges Prasseln oder Wassertröpfeln auf eine Fensterscheibe bis zu Gewitter und Donnergrollen ist alles mit dabei.

Der Produzent Miramare hat schon öfters Regenrauschen in seine Tracks eingebaut, weil er der Überzeugung ist, dass ruhige, natürliche Sounds in der Musik eine entspannende Wirkung haben. Er nimmt dafür sogar selbst den Regen auf.

Durch das Einbauen von natürlichen Klangflächen und Geräuschen ensteht eine zweite Ebene neben der musikalischen Elemente. Dieses Phänomen ist eine Besonderheit von Lo-Fi Hip-Hop und gibt es sonst in keinem anderen Genre so präsent.

Schallplattenknistern

In den letzten Jahren kaufen sich Musikbegeisterte wieder mehr Schallplatten. "Weil der Klang qualitativ viel besser ist.", sagen sie dann. Also hat das doch eigentlich eher weniger mit Lo-Fi zu tun oder?

Ganz im Gegenteil: Produzenten:innen haben früher ihre Samples von Schallplatten überspielt und gezielt einzelne Melodien oder Beatrhythmen ausgewählt. Das nennt sich dann Scratching, also "Rauskratzen". Dabei entstehen durch das häufige Auflegen der Nadel oder kleinen Unebenheiten auf der Schallplatte Klangelemente wie Rauschen oder Knistern im Hintergrund der Tracks.

Diese Geräusche strahlen nun in der heutigen Verwendung eine nostalgische Stimmung in Erinnerung an die Änfänge des Lo-Fi Genre aus.

Dumpfe Bässe

Das Tempo der meisten Lo-Fi Tracks ist zwischen 60 - 90 bpm (beats per minute), also eher langsam. Die Base Drums sind häufig auf Schlag 1 und 3, wodurch es zusätzlich langsamer erscheint.

Durch einen High Cut, der alle Höhen aus den Drums rausnimmt und Klangfiltern auf bestimmten Fequenzen kann man die typische Klanggrundlage von Lo-Fi Tracks bilden.

Anpassung an Labels

Eigene Ästhetik oder Branding

Wenn man auf Streaming-plattformen wie Spotify oder YouTube den Begriff "Lo-Fi" in die Suchleiste eingibt, werden einem Playlisten mit bunten Mangacovern vorgeschlagen und die Beats darauf hören sich alle so ähnlich an, dass man es fast nicht bemerkt, wenn ein neuer Song beginnt.

Doch das ist nur die eine Seite von Lo-Fi und zwar diejenige, wo bestimmtes Sounddesign Labelbranding und nicht eigene künstlerische Ästhetik bedeutet.

Der Produzent Sátyr hat es in unserem Interview auf den Punkt gebracht: "Gerade im Streaming Bereich ist Musik einfach Kapitalismus pur."

audio control on volume down

Photo by Abigail Keenan on Unsplash

Fazit

Lo-Fi ist ein vielseitiges Musikgenre, das sich selbst von Lo-Fi Produzent:innen schwer definieren lässt. Doch genau das macht es auch so besonders und faszinierend.

Diese Bachelorarbeit ist der Versuch einen Überblick über das Genre, zu schaffen und mehr Menschen von dieser Musikrichtung zu begeistern.

Denn egal ob zum Lernen, Entspannen auf der Couch, am Skatepark oder als Live-Musik mit einer Jazz-Band in der kleinen Bar um die Ecke: Lo-Fi Beats schaffen eine wunderbare Atmosphäre.

Vielen Dank fürs Anschauen, Zuhören und Mitmachen!

Weiterführende Links:

How J Dilla humanized his MPC3000: https://www.youtube.com/watch?v=SENzTt3ftiU&t

https://www.masterclass.com/articles/what-is-lofi-explained#what-is-lofi

 https://weonlu.medium.com/lo-fi-beats-in-a-hi-fi-world-9b656bdb6929

 https://switchedonpop.com/episodes/why-lo-fi-is-the-perfect-background-music

 https://www.steppinintotomorrow.com/post/the-misconception-of-music-being-lo-fi

Weiterführende Literatur:

Harper, Adam (2014). Lo-Fi Aesthetics in Popular Music Discourse (PDF). Wadham College. pp. 7–11.

Danke an:

Betreuung:

Prof. Maximilian Richter

Interviews:

Miramare

Sátyr

Cecelie

Florian Ruck

Diese Website ist im Rahmen der Bachelorarbeit am Institut für Musikjournalismus an der Hochschule für Musik Karlsruhe im Sommersemester 2022 entstanden